Sira Sturmbrich
in der Hafenschenke „Zum Rostigen Anker"
Der „Rostige Anker“ war am frühen Abend schon so voll, dass der Dampf der feuchten Mäntel und die Gespräche wie Nebelschwaden unter der Decke hingen. Das Holz der Tische war klebrig vom Bier, der Boden rutschig vom Salz der Stiefel, und irgendwo im Hinterraum spielte jemand eine verstimmte Laute, die mehr wie ein sterbender Fisch klang als wie Musik.
Sira Sturmbrich liebte diesen Ort.
Nicht wegen der Gemütlichkeit – die gab es hier nicht.
Sondern weil in so einer Schenke immer Geschichten durchsickerten wie Regen durch eine alte Schiffsplanke: leise, plötzlich, und oft voller Beute.
Sie setzte sich an einen Tisch in der Ecke, schob einen schlafenden Matrosen vom Hocker, bestellte sich einen Becher Met und lehnte sich zurück.
„Nur ein Becher in Ruhe“, murmelte sie. „Einmal. Nur einmal.“
Der Met dampfte warm in ihrer Hand, und gerade als sie den ersten großen Schluck nahm, der über ihre Zunge wie flüssiger Honigdonner lief, passierte es.
Etwas drückte gegen ihre Seite.
Jemand,Hart,Unverfroren.
Ihr Met schwappte über den Rand, tropfte ihr auf die Hand.
Sira hob langsam den Kopf.
Neben ihr stand ein stämmiger Hafenlader, das Gesicht gerötet wie ein gekochter Krebs, der Brustkorb breit wie ein Fass, und der Atem roch nach einer Mischung aus Knoblauch, billiger Rum und Entscheidungen, die man später bereut.
„Pass auf“, knurrte Sira.
Der Mann blinzelte sie an – und stupste sie noch einmal mit der Schulter an.
Nicht aus Versehen.
Absicht.
Purer Übermut.
Oder Dummheit.
Bei solchen Typen wusste man das nie.
„Hei, Sturmweib“, lallte er. „Der Platz gehört uns. Uns Hafenjungs.“
Sira lächelte.
Ein gefährliches, langsames Lächeln.
„Ich wusste nicht,“ sagte sie ruhig, „dass man in Dornhafen jetzt Schwachmaten züchtet, die nicht mal sehen können, wo sie stehen.“
Ein paar Köpfe drehten sich.
Man flüsterte ihren Namen.
Ein Sturm kündigt sich immer mit einem Windhauch an.
„Was hast du gesagt?“ brüllte der Hafenlader.
Sira stellte ihren Met ab, stand auf und schaute ihm direkt in die Augen.
„Ich sagte“, wiederholte sie, deutlich lauter, „dass du blind bist. Oder dumm. Oder beides. Und dass ich meinen Met trinke, wo ich will.“
Er griff nach ihr.
Ein Großer.
Fehler.
Sira wich nicht zurück.
Sie grinste – und schlug zu.
Kein Schwert, keine Pistole.
Nur ihre Faust, die schneller war als jede Vernunft.
Der Mann taumelte rückwärts, krachend gegen einen Tisch, der unter seinem Gewicht zusammenbrach.
Sein Trupp von Hafenladern sprang auf.
Sira rieb sich die Knöchel.
„Gut“, sagte sie. „Jetzt schmeckt der Met bestimmt noch besser.“
Einer der Hafenjungs zog ein Messer.
Sira warf ihm einen Blick zu, der selbst Eis zum Schmelzen gebracht hätte.
„Steck das weg, Junge. Sonst zeig ich dir, wie man Messer wirft und Leute weinen.“
Er tat es nicht.
Also tat Sira es.
Sie packte den nächstbesten Krug vom Tisch, schwang ihn wie eine Axt und schlug dem Messerträger das Werkzeug aus der Hand. Der Krug flog weiter, traf einen dritten Hafenjungen am Kopf und hinterließ eine schöne Beule – und einen zufriedenen Ausdruck in Siras Augen.
Die Schenke tobte jetzt wie ein Sturm auf offener See.
Flüche. Lachen. Stühle. Fäuste.
Und mittendrin Sira Sturmbrich – laut, wütend, lebendig.
Schließlich, als der letzte Hafenlader am Boden lag oder wimmernd zur Tür kroch, setzte sie sich wieder an ihren Tisch, griff nach ihrem Becher und trank einen tiefen Schluck Met.
„Endlich Ruhe“, sagte sie zufrieden.
In der Tür erschien der Wirt, bleich und fassungslos.
„Sira… das… das war doch nicht nötig!“
Sira grinste ihn breit an.
„Ich wollte nur einen Met. Die haben angefangen.“
Dann kippte sie den Rest des Mets hinunter, stand auf, klopfte dem bewusstlosen Hafenlader auf den Bauch und schlenderte hinaus – bereit für den nächsten Sturm
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