Das Wagenrad im Sturm

Kiwa Leichtfuß

und das Wagenrad im Sturm

 

Der Wind über den Steppen von Elenar war an diesem Tag schlecht gelaunt. Nicht nur ein bisschen.
Er war so mürrisch, dass sogar die Gräser flach auf dem Boden lagen wie Soldaten, die hoffen, unentdeckt zu bleiben.
Er fauchte, pfiff, bellte und riss an allem, was nicht festgebunden, angenagelt oder direkt von einer starken Magie gehalten wurde.

Die meisten Reisenden hatten längst Schutz gesucht. Ihre Wagen standen kreuz und quer, manche halb umgeworfen, manche verhakt ineinander, als würden sie sich gegenseitig trösten.

Alle – bis auf zwei.

Mitten auf dem sandigen Platz saß ein kleiner Junge, kaum älter als sechs Sommer. Tränen rannen seine Wangen hinunter, doch der Sturm war so schnell, dass selbst die Tränen kaum Zeit hatten, herunterzufallen. Sein Spielzeugwagen lag zerstört neben ihm – die Seitenbretter verstreut, die Kupferlaterne im Sand verkeilt, und das Rad davongerollt wie ein freiheitsliebender Hund.

Ein erbärmlicher Anblick in einem Sturm, der keinerlei Mitleid kannte.

Doch genau in diesem Moment kam Kiwa Leichtfuß über einen Hügel getanzt.

Und ja – getanzt ist das richtige Wort.
Wer Kiwa kannte, wusste, dass er selten einfach ging. Er sprang, wirbelte, hüpfte und schlenderte im Rhythmus einer Musik, die niemand sonst hören konnte. Seine Kleidung flatterte wie eine Sammlung bunter Fahnen, sein Haar wurde vom Wind zu einer chaotischen Skulptur geformt, die jeder Bildhauer bewundert hätte, und sein Lächeln war so stabil, dass selbst der Sturm es nicht wegblasen konnte.

„Na, warum so trüb, kleiner Freund?“ rief Kiwa, während er mit einer Drehung um einen vom Wind getragenen Sackflugschatten sprang.

Der Junge schniefte.
„Mein Wagen… mein Rad… der Wind hat alles kaputt gemacht.“

Kiwa legte einen Finger an die Lippen, als müsste er sich konzentrieren – und nickte schließlich so ernst, dass sein Haar dabei wie ein gesträubter Besen wirkte.

„Das geht natürlich nicht. Einen Sturm lässt man nicht gewinnen. Und schon gar nicht einen, der so schlecht gelaunt ist wie dieser hier!“

Er entdeckte das einsame Wagenrad ein paar Schritte weiter. Es lag schief im Gras, zitterte im Windstoß und sah aus, als würde es jeden Moment wieder abhauen wollen. Daneben die kleinen Holzbrettchen, die Stifte und die Laterne des Spielzeugwagens – ein kleines Schlachtfeld aus Kindheit und Naturgewalt.

Kiwa hob das Rad hoch und drehte es zwischen seinen Fingern, als wäre es ein Schatz.

„Weißt du, was das ist?“

Der Junge schüttelte stumm den Kopf.

Kiwa grinste breit.
„Das ist keine Sammlung kaputter Einzelteile… das ist eine Einladung! Eine Aufforderung vom Wind persönlich!“

Der Junge sah unsicher aus.
„Eine… was?“

Doch Kiwa war schon in Bewegung. Er stellte das Rad senkrecht auf, stützte es mit einem Fuß, machte eine kleine Theatereinlage, als würde er die perfekte Bühne prüfen – und sprang dann mit einem einzigen geschmeidigen Satz hinauf auf die Radkante.

Das Rad schwankte heftig.
Der Sturm drückte gegen die Speichen wie ein riesiger, unsichtbarer Riese.
Doch Kiwa stand darauf, die Arme ausgebreitet, das Gleichgewicht meisterhaft gehalten – ein Mensch, der sich nicht vom Wind, sondern vom Leben führen ließ.

„Siehst du? Von hier oben sieht die Welt schon ganz anders aus!“

Er bückte sich, griff die hölzernen Seitenbretter und die kleine Kupferlaterne, die der Wind bereits halb begraben hatte, und begann – mitten im Sturm – damit zu jonglieren.

Der Wind mischte natürlich mit.
Er riss die Brettchen hoch und warf sie fast in Kiwas Gesicht.
Er drückte die Kupferlaterne gegen Kiwas Nase, als wolle er sagen: Künstler, hm? Dann zeig mal was.
Die Holzstifte wirbelten zu einem chaotischen Kreis durcheinander.

Doch Kiwa machte daraus eine Show.

Er warf die Teile höher, drehte sich auf dem wackelnden Rad, balancierte wie ein Seiltänzer, wippte mit den Knien und rief:

„Tatatataaa! Sturmkunst in der freien Natur! Heute nur einmal, Eintritt kostenlos – aber nur weil ich den Kassierer nicht finde!“

Der Junge starrte erst mit offenem Mund.
Dann hörte er auf zu weinen.
Dann kicherte er.
Dann lachte er so laut und hell, dass selbst der Wind einen Moment lang zu lauschen schien.

Kiwa sprang schließlich mit einem eleganten Wirbelschritt vom Rad herunter, fing im selben Atemzug alle jonglierten Teile auf und verbeugte sich so tief, als würde er vor einem vollen Theater stehen.

„Siehst du?“ sagte er. „Manchmal muss man dem Sturm einfach zeigen, dass wir mehr Spaß verstehen als er.“

Der Junge wischte sich die Tränen ab, aber diesmal waren es vor Lachen.
„Kannst du mir auch zeigen, wie man das macht?“

Kiwa zwinkerte und schob die Laterne in seine Jacke.

„Natürlich! Aber wir fangen ganz klein an. Sehr klein. Am besten mit einem Rad, das nicht versucht, dich zu fressen.“

In diesem Moment ließ der Sturm tatsächlich nach, als würde er zugeben, dass er gegen Kiwa keine Chance hatte.

Und über die Steppe hallte das Lachen eines Kindes – rein, hell, und stärker als jedes Heulen des Windes

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